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Versammlungen „digital“ abhalten und elektronisch abstimmen: Was ist rechtlich und technisch zu beachten?

Während der Corona-Krise ist es wegen der Abstands- und Hygieneregeln oft schwierig, Versammlungen wie gewohnt durchzuführen. Doch auch in diesen Zeiten müssen Unternehmen und Vereine rechtlich notwendige Beschlüsse fassen. Der deutsche Gesetzgeber hat deshalb zügig reagiert und – zunächst zeitlich begrenzt auf das Kalenderjahr 2020 – Regelungen geschaffen, um insbesondere Sitzungen und Beschlussfassungen zu vereinfachen. Zusammengefasst sind diese Regelungen im „Gesetz zur Abmilderung der Folgen der Covid-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht“ (Covid-19-Abmilderungsgesetz vom 27. März 2020). Im Folgenden die wichtigsten Regelungen.

Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH):

Für eine Beschlussfassung „im Umlaufverfahren“, also ohne körperliche Anwesenheit der Gesellschafter, ist nach dem neuen Gesetz nicht mehr die Zustimmung aller Gesellschafter notwendig. Damit wird jetzt ausdrücklich eine Ausnahme von der sonst geltenden Regelung des GmbH-Gesetzes gemacht, wonach sich „sämtliche Gesellschafter in Textform“ mit dem Umlaufverfahren einverstanden erklären müssen (§ 48 II GmbHG). Gemäß der aktuellen juristischen Diskussion ist davon auszugehen, dass diese Ausnahmeregelung weit auszulegen ist. Das bedeutet: Eventuelle Regelungen in der Satzung, die das Umlaufverfahren an weitere Voraussetzungen knüpfen, können durch das Abmilderungsgesetz ebenfalls ausgesetzt werden. Das Gesetz befreit die Beteiligten aber nicht von der Pflicht, andere Frist- und Formerfordernisse zu beachten, die gesetzlich oder in der jeweiligen Satzung vorgesehen sind.

Hauptversammlung der Aktiengesellschaft:

Das neue Gesetz erleichtert auch die Beschlussfassung einer Hauptversammlung, sodass bestehende oder künftige Ansammlungsverbote eingehalten werden können. So gibt es nun bei der AG die Möglichkeit, eine präsenzlose Hauptversammlung (z. B. digitale Hauptversammlung) mit eingeschränkten Anfechtungsmöglichkeiten und mit einer auf 21 Tage verkürzten Ladungsfrist abzuhalten. Dafür bedarf es keiner Regelung in der Satzung oder Geschäftsordnung, sondern lediglich einer entsprechenden Entscheidung des Vorstandes. Möglich ist eine solche Versammlung unter folgenden Voraussetzungen:

  • Es erfolgt eine Bild- und Tonübertragung der gesamten Hauptversammlung.
  • Die Aktionäre können ihr Stimmrecht über elektronische Kommunikation (elektronische Briefwahl oder Teilnahme) ausüben sowie Vollmachten erteilen.
  • Die Aktionäre können im Wege der elektronischen Kommunikation Fragen stellen.
  • Widersprüche gegen Beschlüsse der Hauptversammlung können auf elektronischem Wege vorgebracht werden.

Die im Gesetz genannte Voraussetzung der „elektronischen Kommunikation“ ist wörtlich zu nehmen. Denn um die Erleichterungen des Covid-19-Abmilderungsgesetzes nutzen zu können, wird ausdrücklich verlangt, dass die elektronische Briefwahl als Alternative zur elektronischen Teilnahme angeboten wird. Dies wird viele Unternehmen vor technische Herausforderungen stellen. Die elektronische Teilnahme bedeutet, dass die Aktionäre die Möglichkeit haben müssen, innerhalb der Hauptversammlung zu agieren. Konkret heißt das, dass eine Übertragung sowohl von der Gesellschaft zu den Aktionären als auch von den einzelnen Aktionären zur Gesellschaft zu ermöglichen ist. Wenn die AG die Erleichterungen aus dem Covid-19-Abmilderungsgesetz nutzen will, muss sie die Briefwahl zwingend in elektronischer Form ermöglichen – im Gegensatz zur grundsätzlichen Möglichkeit der „klassischen“ Briefwahl, wie sie in § 118 II Aktiengesetz (AktG) verankert ist. Eine postalische Übersendung genügt also nicht.

Im Zuge der Anordnung kann der Vorstand bestimmen, dass Fragen der Aktionäre spätestens zwei Tage vor der Versammlung im Wege elektronischer Kommunikation einzureichen sind. Über die Beantwortung entscheidet der Vorstand nach pflichtgemäßem Ermessen. Die Aktionärsrechte in der Hauptversammlung können demnach auf ein Minimum beschränkt werden. Dabei hat der Gesetzgeber auch die Möglichkeit eingeschränkt, Beschlüsse anzufechten.

Der Vorstand kann zudem entscheiden, dass die Hauptversammlung im Laufe des gesamten Geschäftsjahres erfolgt. Die zeitliche Begrenzung auf die ersten acht Monate des Geschäftsjahres ist aufgehoben.

Der Aufsichtsrat muss sämtlichen Entscheidungen des Vorstandes zustimmen, die sich auf die Inanspruchnahme der dargestellten Erleichterungen beziehen. Auch der Aufsichtsrat ist ermächtigt, seine eigenen Beschlüsse ohne physische Anwesenheit der Mitglieder schriftlich, fernmündlich oder in vergleichbarer Weise zu fassen. All dies gilt auch für nicht-börsennotierte Gesellschaften.

Vereine und Stiftungen:

Erleichterungen gibt es auch für Vereine und Stiftungen, die ihre Versammlungen ebenfalls abhalten können, ohne dass die Mitglieder am Versammlungsort anwesend sind. Diese Möglichkeit besteht auch dann, wenn dies in der Satzung nicht vorgesehen ist. Den Mitgliedern muss ermöglicht werden, ihre Stimmen im Wege der elektronischen Kommunikation abzugeben oder ihre Stimme vor der Versammlung schriftlich zu übermitteln. Ein Beschluss ohne körperliche Anwesenheit der Mitglieder ist gültig, wenn diese drei Voraussetzungen erfüllt werden: Alle Mitglieder wurden beteiligt; bis zu dem gesetzten Termin hat mindestens die Hälfte der Mitglieder ihre Stimmen in Textform abgegeben; der Beschluss wurde mit der erforderlichen Mehrheit gefasst.

Ein wichtiger Aspekt des Abmilderungsgesetzes betrifft die Amtszeit des Vorstands: Grundsätzlich scheidet der Vorstand ohne eine entsprechende Satzungsregelung aus dem Amt aus, wenn seine Amtszeit abläuft. In Zeiten der Corona-Pandemie, die möglicherweise die Abhaltung einer Mitgliederversammlung verhindert, ergibt sich daraus das Risiko, dass Vorstandsposten unbesetzt bleiben oder dass der Vorstand fehlerhaft besetzt ist. Das würde die Handlungsfähigkeit des Vereins oder der Stiftung gefährden. Deshalb gilt während der Geltungsdauer des Abmilderungsgesetzes, dass die Amtszeit über den vereinbarten Ablauftermin hinaus fortläuft: Der Vorstand bleibt also unabhängig von Satzungsregelungen im Amt, bis er abberufen wird und ein neuer Vorstand bestellt ist.

Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG):

Was die Form der Beschlussfassung einer WEG angeht, wurden vom Gesetzgeber keine Erleichterungen vorgesehen. Jedoch bleibt der Verwalter bis zur ausdrücklichen Abberufung oder bis zu einer Neubestellung im Amt und der zuletzt beschlossene Wirtschaftsplan gilt bis zum Beschluss eines neuen fort. Diese Regelung erfüllt denselben Zweck wie die entsprechende Regelung für den Vorstand von Vereinen und Stiftungen.

 

Technische Umsetzung

Um die zum Teil geforderte Kommunikation in Echtzeit (z. B. Zuschaltung der Mitglieder oder Aktionäre) zu gewährleisten, dürfte bei vielen die Versuchung groß sein, einfach auf die üblichen Video-Chat-Programme zurückzugreifen. Diese Programme erfreuen sich großer Beliebtheit, seitdem viele Mitarbeiter wegen der Pandemie vom Home-Office aus tätig sind. Allerdings ist der Datenschutz gerade bei einigen großen Anbietern umstritten. Bei der Auswahl sollte bei Anbietern aus Drittländern (z. B. USA) unbedingt darauf geachtet werden, dass das Datenschutzniveau, insbesondere die EU-Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO), sichergestellt ist. Die Voreinstellungen der Anbieter ermöglichen es oft, den Datenschutz zu erhöhen, etwa durch Kommunikation über Server in Deutschland und Ende-zu-Ende-Verschlüsselung. Wenn man allerdings gleich Dienste aus der EU nutzt, dürfte die Einhaltung der in der EU üblichen Datenschutzvorschriften von vorneherein gewährleistet sein.

Die Umsetzung der elektronischen Briefwahl dürfte kleine und mittlere Aktiengesellschaften vor Probleme stellen. Ein Portal für die Stimmabgabe muss fälschungssicher sein und Authentifizierungsfunktionen haben. Die Stimmabgabe sollte bestätigt werden. Wahlweise ist auch die Einrichtung spezifischer E-Mail-Adressen denkbar.

Schon kurz nach Erlass des Gesetzes zeigten sich Lücken, weil diverse Voraussetzungen sehr weit gefasst sind und deshalb Raum für Auslegungen geben. Hierdurch entwickelte sich bereits eine kontroverse Diskussion in der juristischen Literatur; zur abschließenden Klärung ist die zukünftige Rechtsprechung abzuwarten. Aus diesem Grund sollten im Zweifelsfall die Risiken, die sich durch die Nutzung der Erleichterungen ergeben könnten, juristisch überprüft werden. Denn sonst könnte die Wirksamkeit der getroffenen Beschlüsse in Frage stehen. Grundsätzlich ist es aber erfreulich, dass der Gesetzgeber schnell Vereinfachungen geschaffen hat, um die Folgen der Corona-Krise abzumildern.

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Dr. Benedikt Salleck , SALLECK + PARTNER

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Der Artikel wurde von Dr. Benedikt Salleck für das IHK Magazin WiM verfasst und auch auf deren Website veröffentlicht: https://www.ihk-nuernberg.de/de/IHK-Magazin-WiM/WiM-Archiv/WIM-Daten/2020-07/corona/beschluesse-elektronisch-fassen