In Zeiten, in welchen das Corona-Virus die Nachrichten dominiert, hat der EuGH eine weitreichende Entscheidung zugunsten der Verbraucher getroffen.
Die Thematik ist keine neue, jedoch öffnen sich hierdurch weitere Türen für Verbraucher, um sich von unliebsamen Immobilien- und Kfz-Finanzierungsverträgen mit hohen Zinsen zu trennen.
Die Klausel
Der EuGH hat am 26.03.2020 (Aktenzeichen C-66/19) über eine Klausel in Widerrufsbelehrungen entschieden, welche viele Kreditverträge im Zeitraum von 2010 bis 2016 enthielten. Die Klausel lautet hierbei:
„Die Frist beginnt nach Abschluss des Vertrags, aber erst, nachdem der Darlehensnehmer alle Pflichtangaben nach § 492 Absatz 2 BGB (z.B. Angabe zur Art des Darlehens, Angabe zum Nettodarlehensbetrag, Angabe zur Vertragslaufzeit) erhalten hat.“
Der Sachverhalt
Der Entscheidung des EuGH lag dabei folgender Sachverhalt zugrunde:
Ein Verbraucher schloss im Jahr 2012 mit einer Kreissparkasse einen Kreditvertrag zur Finanzierung einer Immobilie. Im Jahr 2016 widerrief er den – grundsätzlich mit einer Laufzeit bis 2021 geschlossenen – Vertrag und begründete die Zulässigkeit des verspäteten Widerrufs mit einer ungenügenden Widerrufsbelehrung. Die Kreissparkasse war dagegen der Ansicht, dass die Widerrufsbelehrung ordnungsgemäß erfolgte.
Die Entscheidung
Der EuGH stellte nun klar, dass im Rahmen von Verbraucherkreditverträgen „in klarer und prägnanter Form die Modalitäten für die Berechnung der Widerrufsfrist“ angegeben werden müssten. Die seitens der Kreissparkasse verwendete Klausel mit dem Verweis auf deutsche Rechtsvorschriften zur Festlegung des Fristbeginns genügt dieser Form nach Ansicht des höchsten europäischen Gerichts nicht.
Die Ermittlung des Fristbeginns bedarf bei dieser Formulierung durch zahlreiche Verweisungen auf diverse Normen, einer sogenannten „Kaskadenverweisung“, jedoch zumindest grundlegender juristischer Kenntnisse, welche von Verbrauchern nicht erwartet werden können. Nach Ansicht der EuGH käme es durch die Kaskadenverweisung zu einer fehlenden Transparenz sowie einer Unvereinbarkeit mit dem europäischen Recht. Der Verbraucher könne hierdurch weder den Umfang seiner vertraglichen Pflichten ermitteln noch prüfen, ob alle erforderlichen Angaben im Vertrag enthalten sind. Aus diesem Grund lässt sich für Verbraucher der Beginn der Widerrufsfrist nur schwer bis gar nicht ermitteln.
Die Konsequenz
Das Landgericht Saarbrücken hat nunmehr, als zuständiges Gericht, welches die Vorlage zum EuGH eingeleitet hatte, unter Beachtung der Vorgaben des EuGH über die konkrete Angelegenheit zu entscheiden.
Die neue EuGH-Rechtsprechung eröffnet hierbei vielen Verbrauchern die Möglichkeit, sich von ihren Krediten mit Zinsen teilweise um die 4% zu lösen und die Finanzierung auf Kredite mit einer derzeitigen Zinshöhe von unter 1% umzuschichten. Eine Vorfälligkeitsentschädigung wäre zudem nicht fällig.
Grundlegend lässt sich anhand des Urteils in Zukunft eine – im Vergleich zum BGH – verbraucherfreundlichere Rechtsprechung erwarten. Den Verbrauchern wurde durch das Urteil eine neue Tür mit weitreichenden Möglichkeiten eröffnet.
Der Konflikt
Eine Frage, welche die deutschen Gerichte zukünftig beschäftigen wird, ist die des Verhältnisses der EuGH-Rechtsprechung zu dem sogenannten Musterschutz. Nach diesem sind Widerrufsbelehrungen dann als angemessen und grundsätzlich wirksam anzusehen, wenn sie dem gesetzlichen Mustertext entsprechen. Die oben genannte Klausel befand sich gerade im Zeitraum von Juni 2010 bis März 2016 in diesem Mustertext. Wie die deutschen Gerichte diesen Konflikt lösen, bleibt abzuwarten.
Festzuhalten ist jedoch bereits jetzt, dass die deutschen Gerichte die vom BGH zunächst sehr bankenfreundliche Rechtsprechung überdenken müssen. Zudem weichen die Widerrufsbelehrungen vieler Banken von dem Mustertext ab, sodass der Musterschutz bereits von Anfang an nicht greift.
Ob auch Sie als Kreditnehmer von dieser Rechtsprechung profitieren können, prüfen unsere Rechtsanwälte gerne.